Soirée d’Information sur la Psychologie Interview #4 – Frau Jyll Duschinger

Interview mit Frau Jyll Duschinger

Psychologin im Service d’Aide aux Victimes des Service Central d’Assistance Sociale

Frau Duschinger, aufgrund der derzeitigen Umstände konnte die traditionelle Soirée d’Information sur la Psychologie der ALEP dieses Jahr leider nicht wie geplant stattfinden. Gerne hätten wir vor Ort von Ihrem Studien- und Berufsweg, so wie Ihrem derzeitigen Berufsalltag gehört und uns anschließend darüber ausgetauscht. Um unseren Zuhörern trotzdem einen kleinen Einblick in Ihren Werdegang geben zu können, möchten wir Ihnen auf schriftlichem Wege ein paar Fragen dazu stellen. Wir danken Ihnen vielmals, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen!

 

Über Ihre Studienzeit…

Weshalb haben Sie sich dazu entschieden Psychologie zu studieren?
Es gab viele und auch sehr unterschiedliche Gründe, die mich dazu bewegt haben, Psychologin zu werden. Darunter zählen unter anderem meine persönlichen Stärken und Werte. Kontakte mit Menschen zu knüpfen fällt mir deshalb leicht, weil es mich interessiert, was in ihnen vorgeht und was sie bewegt. Mich offen und ehrlich auf andere Menschen einzulassen, Beziehungen zu pflegen und mich zu engagieren und andere Menschen dabei zu unterstützen, aus ihrem Leiden herauszukommen, sind mir sehr wichtig. Ich bin zudem ein praktisch veranlagter Mensch, dem es Spaß macht zu analysieren und Vorgänge verstehen zu wollen.
Schon auf 4e wusste ich, dass ich einmal Ärztin oder Psychologin werden möchte. Mein Vater ist Arzt, ich habe also schon früh Bekanntschaft mit dem Gesundheitswesen gemacht, und schon im Gymnasium den Schwerpunkt auf Naturwissenschaften und Mathematik (Sektion C) gelegt. Nach dem Abitur habe ich dann drei Jahre Humanmedizin in Luxemburg und Strasburg studiert. Leider musste ich mein Studium dann abbrechen und es lag auf der Hand, dass meine Alternative zum Medizinstudium das Psychologiestudium war.

Entsprach das Psychologiestudium Ihren Vorstellungen?
Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich vor Beginn des Psychologiestudiums keine klaren Vorstellungen.

Sie haben in Luxemburg und in Fribourg in der Schweiz studiert. Warum gerade an diesen Orten?
Nach dem Medizinstudium hatte ich mich an 6 Universitäten in Deutschland und an der Uni.lu beworben. Die Uni Luxemburg war die einzige Universität, die mich angenommen hatte, da ich durch den NC in Deutschland keinen Studienplatz bekommen hatte. Das lag auch an dem – meiner Ansicht nach – lobenswerten Auswahlverfahren der Uni.lu, die nicht nur die Abiturnoten der Bewerber berücksichtigt, sondern durch Vorstellungsgespräche den Menschen hinter den Bewerbungsunterlagen kennenlernen möchte. Aber nicht nur das Aufnahmeverfahren schätze ich an der Uni.lu, auch ihre Mehrsprachigkeit, den einfachen persönlichen Kontakt zu den Dozenten (durch die kleinen Kohorten) und die Multikulturalität sind bemerkenswert und einzigartig.
Als ich meinen Bachelorabschluss in der Tasche hatte, wollte ich aber noch einmal ins Ausland. Ich brauchte zu der Zeit die Distanz zu Luxemburg. Da ich den mehrsprachigen Weg der Uni.lu weiterführen wollte, habe ich mich darüber informiert, an welchen Unis in Europa man ein mehrsprachiges Diplom erlangen kann – so habe ich Freiburg im Üechtland kennengelernt. Die Schweiz ist ein Land, das mich schon immer angezogen hat und mit dem ich Familie (ein Teil meiner Familie lebt dort), Natur und Genuss verbinde.

Was hat Ihnen besonders am Psychologiestudium gefallen?
Die Vielfalt der Psychologie und die Menschen.
Die Welt der Psychologie, und somit auch das Psychologiestudium, ist sehr facettenreich und man hat so viele Möglichkeiten. Im Bachelor lernt man zunächst die verschiedenen Bereiche der Psychologie kennen, man erhält ein Basiswissen, das man im Master (und auch in späteren Weiterbildungen) vertiefen kann, um sich immer mehr in eine Richtung zu spezialisieren: klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, Entwicklungspsychologie, Neuropsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie.
Neben der Vielfalt der Psychologie hat mir aber auch die Vielfalt der Menschen, meiner KommilitonInnen, gut gefallen. Wir waren – sowohl in Luxemburg, als auch in Fribourg – eine kunterbunt gemischte Gruppe an Menschen. Die einen kamen gerade aus dem Lycée, andere hatten vorher schon ein anderes Fach studiert, und wieder andere haben vor dem Psychologiestudium schon gearbeitet. Auch aus kultureller Sicht, war unsere Kohorte eine heterogene Gruppe, was das Studium sehr bereicherte.

Inwiefern war das Psychologiestudium für Sie eine Herausforderung?
Das Psychologiestudium war auch mit viel Aufwand verbunden. Es gab viel Stoff, der zu lernen war, die Statistikfächer, die einen nicht unerheblichen Teil des Studiums ausmachen, waren für viele nicht leicht, und bei den Hausarbeiten wurde sehr viel Wert auf korrektes, wissenschaftliches Arbeiten gelegt.
Sie haben nach Ihrem Masterabschluss verschiedene weiterführende Studien und Fortbildungen gemacht.

Erachten Sie solche als wichtig oder gar notwendig für den späteren Beruf?
Das Studium hat mir einen (eher theoretischen) Überblick über psychologische Prozesse und Psychopathologie gegeben. Nach dem Studium haben mir trotz allem wichtige Fähigkeiten, um meinen Beruf angemessen ausüben zu können, gefehlt. Aus diesem Grund habe ich 2017 den Grundkurs in der systemischen Therapie gemacht und 2018 den Master in Psychotherapie an der Uni.lu begonnen. Diese Zusatzausbildungen sind, vor allem wenn man im klinischen Bereich arbeitet, unentbehrlich.
Auf der anderen Seite lebe ich aber auch das Konzept des Lifelong Learning – die Welt entwickelt sich schnell, das gilt auch für die Psychologie und die Psychotherapie, die als recht junge Disziplinen ständig im Wandel sind. Aus diesem Grund erachte ich es als notwendig sich regelmäßig weiterzubilden, um auf dem neusten Stand der Forschung bzw. der Erkenntnisse zu bleiben.
Durch die ständige Weiterentwicklung der Psychotherapie, vor allem in der kognitiven Verhaltenstherapie, entstehen immer wieder neue Verfahren. Das Erlernen dieser Verfahren gibt einem im therapeutischen Alltag neue Möglichkeiten und Herangehensweisen. Es macht mir großen Spaß mich mit diesen Verfahren auseinanderzusetzen und verschiedene davon durch Weiterbildungen zu erlernen.

 

Ihr Start in den Beruf…

Wie sah Ihr Weg nach dem Studium aus? Wo haben Sie Ihre ersten beruflichen Erfahrungen gemacht?
Ich hatte während meines Masterstudiums bereits ein Praktikum im Service IMPULS (Fondation Solina, früher Solidarité Jeunes a.s.b.l.) gemacht. Das Praktikum hatte mir so gut gefallen, dass ich mich nach meinem Abschluss noch einmal in der Einrichtung beworben hatte. Da eine der Mitarbeiterinnen zu der Zeit schwanger war und sie gerade auf der Suche nach einem Ersatz waren, bekam ich sofort nach meinem Masterabschluss einen befristeten Vertrag, aus dem dann, ein gutes Jahr später, ein unbefristeter Vertrag wurde. Ich habe insgesamt 3 Jahre im Service IMPULS gearbeitet.

Wie war für Sie die Umstellung vom Unileben auf das Berufsleben? Hatten Sie eventuell Startschwierigkeiten?
Nach 3 Jahren Medizinstudium und 5 Jahren Psychologiestudium, in 4 verschiedenen Ländern, war ich glücklich und erleichtert, als ich das Studentenleben hinter mir lassen konnte und in Luxemburg – bei meinen Freunden und meiner Familie – Fuß fassen und arbeiten konnte. Der Übergang fiel mir eher leicht, ich habe schnell einen für mich angenehmen Arbeitsrhythmus gefunden. Ich war zudem dankbar, dass ich so schnell eine Arbeit als Psychologin gefunden hatte. Ich kannte das Team ja bereits durch mein Praktikum und fand schnell meinen Platz innerhalb der Einrichtung.

Welche Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach für die Arbeit als Psychologin essentiell?
Ich merke in meinem beruflichen Alltag immer wieder, wie wichtig das eigene Menschenbild ist, wenn man mit Menschen arbeitet. Für Psychologen – aber auch für andere Berufsgruppen, wie Erzieher, Lehrer, Polizisten, Sozialarbeiter, etc. – ist es meiner Ansicht nach essentiell, dass man dem Menschen mit einer neutralen, offenen, neugierigen und wertschätzenden Haltung begegnet. Die besten Methoden und Interventionen funktionieren nicht, wenn man mit Vorurteilen und Bewertung mit einem anderen Menschen in Kontakt tritt.
Dann sollte man als Psychologe unbedingt seine eigenen Grenzen kennen und diese auch respektieren. Man sollte für sich wissen, mit welchen Themen und mit welcher Population man gerne arbeitet und bei welchen Themen man eher Schwierigkeiten hat – dem können ganz unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Es ist zudem wichtig, dass man nur an Themen arbeitet, mit denen man sich auskennt und über die man ein fundiertes Wissen besitzt.

Haben Praktika während des Studiums Ihnen beim Berufseinstieg geholfen?
Auf jeden Fall! Mein Praktikum bei IMPULS hat mir viel Wissen über Drogen, Konsum, Arbeit mit Jugendlichen und Familien, aber auch das Jugendschutzgesetz und die Funktionsweise der Staatsanwaltschaft, der Schulen, der Heime und Internate, etc. gegeben und mir meinen ersten Arbeitsvertag ermöglicht. Aber auch mein Praktikum, das ich im Rahmen meines Bachelorstudiums im SDIP (Service de Détection et d’Intervention Précoce pour troubles psychiques, Hôpitaux Robert Schuman) absolviert habe, hat mir einen großen Einblick in die Diagnostik ermöglicht. Außerdem konnte ich mich mit erfahrenen Psychologen über ihre Ausbildungen und Weiterbildungen und ihre Arbeit austauschen.

 

Ihr aktueller Berufsalltag…

Frau Duschinger, Sie arbeiten derzeit als Psychologin im Service d’Aide aux Victimes des Service Central d’Assistance Sociale. Können Sie uns kurz beschreiben, wie ihr beruflicher Alltag dort aussieht?
Das Team des Service d’Aide aux Victimes setzt sich aktuell aus 5 Psychologinnen und Psychotherapeutinnen (3,75 Posten) zusammen. Unser Aufgabenbereich liegt vor allem in der psychologischen, psychotherapeutischen und juristischen (Aufklärung, Vorbereitung und Begleitung von Gerichtsterminen) Betreuung von Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Neben den Opfern, begleiten wir auch deren Angehörige, sowie Zeugen von Straftaten und unser Angebot richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Menschen, die wir betreuen, werden hauptsächlich von der Polizei zu uns geschickt, manche werden aber auch von anderen Einrichtungen, von Sozialarbeitern, ihrem Arzt oder Psychologen zu uns orientiert.

Führen Sie auch Psychotherapien mit Ihren Klienten durch, oder beschränkt sich Ihre Arbeit eher auf beraterische Tätigkeiten?
Meine Tätigkeit im Service d’Aide aux Victimes ist sehr vielfältig und orientiert sich stark an den Bedürfnissen und Anliegen meiner Klienten. Manche suchen uns ausschließlich für eine juristische (eher administrative) Begleitung und eine Aufklärung über ihre Rechte auf. Andere kontaktieren uns, weil es ihnen seit der Straftat nicht besonders gut geht und sie psychologische Unterstützung brauchen. Und wieder andere haben durch die Straftat, die sie erlebt haben, eine Psychopathologie (Angststörung, Depression, akute Belastungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, etc.) entwickelt. Wir machen also sowohl psychologische Beratung, als auch Psychotherapie – aus diesem Grund ist eine psychotherapeutische Weiterbildung eine Voraussetzung, um im Service d’Aide aux Victimes tätig zu sein.

Täglich werden viele Menschen Opfer von Straftaten. Kann der SAV sich überhaupt um alle diese Personen kümmern?
Um alle mit Sicherheit nicht, und es gibt auch immer wieder Zeiten, in denen der SAV, als einzige staatliche Einrichtung, die mit Opfern von Straftaten arbeitet, stark überlaufen ist, aber zurzeit kriegen wir es hin allen Anfragen in einem Zeitraum von maximal 3 Wochen entgegen zu kommen. Es melden sich allerdings bei weitem nicht alle Opfer einer Straftat bei uns und glücklicherweise gibt es in Luxemburg mehrere Einrichtungen, die diesen Menschen ebenfalls helfen, vor allem wenn es um häusliche Gewalt geht.

Kümmert der SAV sich um Opfer sämtlicher Straftaten? Wie verhält es sich mit Personen, die nicht direkt Opfer von Straftaten wurden, z.B. Verkehrsopfer?
Der SAV kümmert sich um alle Personen, die Opfer einer Straftat aus dem Strafgesetzbuch (code pénal) geworden sind – Aggression, Körperverletzung, häusliche Gewalt, Überfälle, Belästigung, Sexualdelikte, Vergewaltigung, etc.
Verkehrsopfer und deren Angehörige orientieren wir für gewöhnlich an die AVR (Association nationale des Victimes de la Route) weiter.

Wie funktioniert eine Fallübernahme Ihrerseits? Arbeiten Sie mit anderen Institutionen, wie beispielsweise der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder anderen Anlaufstellen für Opfer (z.B. Femmes en détresse) zusammen?
Wenn eine Person, die Opfer einer Straftat geworden ist, eine Anzeige bei der Polizei erstattet, bekommt sie ein Dokument, das sie über ihre Rechte aufgeklärt; dieses Dokument heißt Infodroit. Neben den Rechten des Opfers werden in diesem Dokument auch zahlreiche Einrichtungen aufgezählt, bei denen sich die Person melden kann, um Unterstützung zu bekommen: Service d’Aide aux Victimes (SAV), Wäisse Rank Lëtzebuerg a.s.b.l., Association Nationale des Victimes de la Route (AVR), Service d’Assistance aux Victimes de Violence Domestique (SAVVD), Fraenhaus, InfoMann, Alupse a.s.b.l., Fondation Maison de la Porte Ouverte und Femmes en Détresse.
Ein Großteil unserer Klienten wird demnach von der Polizei zu uns orientiert und unsere Zusammenarbeit mit der Polizei funktioniert sehr gut. Da wir Teil der Generalstaatsanwaltschaft sind, arbeiten wir auch eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Aber auch mit den anderen Anlaufstellen für Opfer arbeiten wir Hand in Hand.

 

Hier können Sie optional noch weitere Ausführungen zu Ihrem Studien- und Berufsweg, so wie Ihrer derzeitigen Arbeit machen:
Ich habe keine weiteren Anmerkungen.

 

Am Schluss, haben Sie noch einen Rat für zukünftige Studierende der Psychologie?
Als ich Präsidentin der ALEP und viel im Austausch mit Schülern und Studierenden war – und auch als ich selbst noch Schüler war – habe ich oft erlebt, wie einem vom Psychologiestudium abgeraten wird, weil es schon so viele Psychologen gäbe und man mit diesem Diplom später keine Arbeit finden würde … Mein Rat an alle Psychologie-Interessierte: traut euch und geht dem nach, was euch interessiert und was euch Spaß macht. Das gilt auch für jede Entscheidung, die ihr auf dem Weg eurer Ausbildung und Weiterbildung trefft.
Wie bereits eingangs erwähnt, sind Psychologie und Psychotherapie im ständigen Wandel, auch auf gesetzlicher und gesellschaftlicher Ebene, so dass meiner Meinung nach die Rolle des Psychologen in unserer Gesellschaft immer wichtiger werden wird – die aktuelle Krise, bedingt durch das Corona-Virus ist der beste Beweis dafür. Demnach, Psychologen werden immer gebraucht!

Frau Duschinger, wir danken Ihnen für das Interview!